Brno, Borgweg und Ballzauber aus Bahia

Blindenfussball ©Stefan Groenveld

Intensive Wochen liegen hinter dem Blindenfußballteam des FC St. Pauli. Turniere, Trainingslager und  Bundesligastart machten den Mai zu einem Wonnemonat, der mit einem international hochkarätig besetzten, sensationellen Turnier in der Tschechischen Republik endete.

Am letzten April-Wochenende waren wir vom Chemnitzer FC zu einem Viererturnier geladen. Neben den Gastgebern und uns nahmen noch der VSV Würzburg und unsere tschechischen Freunde von Avoy MU Brno teil. Durch ein 0:0 gegen Chemnitz, ein 1:1 gegen Brno und ein 2:0 gegen Würzburg holten wir uns den zweiten Platz. Den ersten Turniersieg ihrer Vereinsgeschichte feierte Avoy Brno. Gegen den späteren Turniersieger war Michael Löffler unser Torschütze zur zwischenzeitlichen Führung. Gegen Würzburg erzielte unser 14jähriger Nachwuchskicker Jonathan Tönsing seine ersten beiden Tore für den FC St. Pauli. Die Chemnitzer hatten ein wirklich schönes Turnier auf die Beine gestellt, bei der auch das abendliche Beisammensein der Blindenfußball-Gemeinde nicht zu kurz kam. Solche Wochenenden sind für uns umso wichtiger, weil an den Bundesligaspieltagen das Miteinander der verschiedenen Teams inzwischen sehr kurz kommt.

Von Chemnitz aus sind wir mit unseren Freunden aus Brno direkt zum gemeinsamen Trainingslager nach Hamburg gefahren. Drei Tage lang wurde auf unserer Trainingsanlage am Borgweg an fußballerischen Feinheiten gearbeitet. Neben dem Platz kam in diesen Tagen das gemeinsame Freizeitprogramm nicht zu kurz. Legendär sind inzwischen die Abende, an denen die Spieler aus Brünn ihre Gitarre auspacken und gemeinsam mit unseren Spielern singen.

In diesem Rahmen gab es an jedem Abend ein Freundschaftsspiel zwischen beiden Teams, insgesamt drei. Das erste Match dieser Triologie gewannen wir mit 1:0. Den Treffer erzielte unser zweiter 14jähriger Spieler Rasmus Narjes. Auch für ihn war es das erste Tor für St. Pauli. Rasmus wohnt auf dem Dorf und kommt von mindestens einmal in der Woche zum Training an den Borgweg. Er nimmt dafür einige Stunden An-und Abreise in Kauf.
Was dieser Jugendliche auf sich nimmt, um Fußball spielen zu können, verdient größten Respekt.Im zweiten Match am Dienstagabend, das wir als offiziell erstes internationales Blindenfußball-Spiel unter freiem Himmel auf Hamburger Boden angekündigt hatten, waren auch viele Zuschauer an der Bande. Darunter auch der Tschechische Honoralkonsul. Der FC St. Pauli siegte hier mit 4:0 gegen Avoy MU Brno. Für uns traf Jonathan Tönsing erneut doppelt zum 3:0 und 4:0. Die ersten beiden Tore der Partie erzielte Serdal Celebi.

Blindenfussball ©Stefan Groenveld

 

Serdal hatte beim Chemnitz-Turnier gefehlt, weil er am gleichen Wochenende in Dortmund sein Debüt für die deutsche Nationalmannschaft feierte. Beim 10:0 gegen Rumänien konnte Serdi in seinem ersten Länderspiel mit dem 4:0 auch gleich sein erstes Tor für Deutschland erzielen. Er ist damit der insgesamt vierte Spieler der seit Bestehen von St. Paulis Blindenfußballteam in die Nationalmannschaft berufen wurde.

Impressionen von den Vorbereitungen der ersten Länderspielbegegnung Deutschland - Rumänien. Die Nationalhymnen werden gespielt.

Auch das dritte Spiel gegen Brno im Rahmen des Trainingslagers konnten wir gewinnen. Diesmal mit 2:0. Wieder schoss Jonathan Tönsing beide Tore. Neben Jonathan und Rasmus haben wir mit Paul Ruge, Philipp Versen, Pascal Tödter, und André Juhls jetzt insgesamt sechs Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren dabei. Der FC St. Pauli leistet derzeit die deutschlandweit beste Jugendarbeit. Keinem anderen Verein gelingt es, so viele blinde und sehbehinderte Jugendliche an den Fußballsport heran zu führen und weiterzuentwickeln.  Maßgeblichen Anteil daran hat Trainer Wolf Schmidt. Unterstützt wird er durch seinen Co-Trainer Maximilian Ziegert sowie die Guides und Betreuer Rolf Hardt und Miriam Steen. Und auch die Eltern der Jugendlichen leisten ihren tatkräftigen Beitrag. Doch trotz vielfältiger Unterstützung ist Wolf immer der Mann für alles. Trainer, Manager, Organisator, Ansprechpartner, offenes Ohr und so weiter. Was Wolf Schmidt hier leistet und an zeitlichem und mentalem Aufwand betreibt, verdient höchste Anerkennung.

Nach einigen Tagen Regeneration stand dann auch schon der Bundesligaauftakt in Mainz auf dem Programm. Beim sogenannten Städtespieltag wird ein schwer bespielbarer Kunstrasen, der mit der Bundesliga durch verschiedene Spielorte tourt, auf einem Platz in der Innenstadt verlegt. Die Spielorte haben dabei nicht unbedingt eigene Teams in der Liga. Unser Gegner in Mainz war der Chemnitzer FC. Gut vorbereitet waren wir heiß auf die Partie, doch dann der Schock. Die neue Saison zählte genau vier Sekunden, als wir das 0:1 kassierten. Der Stürmer des CFC hatte vom Anstoß weg mit einem schnellen Dribbling in Form einer S-Kurve unsere Defensive ausgespielt und unhaltbar eingeschossen. Mitte der ersten Halbzeit konnte Michael Löffler für uns den Ausgleich markieren. Die zweite Halbzeit dominierten wir total, trafen aber wiederholt Torwart, Pfosten und Außennetz. Ein stark geschossener 8-Meter-Strafstoß von Serdal in der Schlussphase knallte ans Lattenkreuz. So blieb es beim 1:1, das sich für uns allerdings nach zwei verlorenen Punkten anfühlte.

Am Wochenende nach Himmelfahrt ging es zum Bucovice Blind Football Cup nach Tschechien. Das von Avoy Brno organisierte internationale Turnier ist ein absolutes Highlight unseres Sportkalenders. Die Möglichkeit z.B. gegen den ungarischen oder den griechischen Meister zu spielen ist ein riesiges Erlebnis. Die Spieler aus den anderen Ländern kennenzulernen ebenfalls.

Unsere Freunde aus Brno hatten uns zu ihrem Tournament eingeladen. Und eingeladen bedeutet in dem Fall, dass sie uns ausdrücklich verboten, an dem Wochenende auch nur irgendetwas anderes als die Anreise zu bezahlen.

Als Auftaktgegner hatte der Turnier-Spielplan für uns den brasilianischen Meister ICB Bahia vorgesehen. Unsere Defensive bot eine starke Leistung und konnte die Fußballzauberer über weite Strecken vom Torschuss abhalten. Am Ende kassierten wir eine 0:4-Niederlage, mit der wir gut leben konnten. Alle anderen Vorrundenspiele gewann Bahia höher. Was für ein tolles Gefühl, wenn einer unserer 14jährigen gegen Marcos, einen der besten Stürmer der Welt, den Ball erobern kann. Aber nicht nur unsere Jugendlichen, sondern fast alle Blindenfußballer Europas können von diesen leichtfüßigen Kickern einiges lernen.

Torschuss_Bahia © Avoy Brno

Im zweiten Vorrundenspiel trafen wir auf Avoy Brno. Wir boten eine recht schwache Vorstellung und unterlagen unseren Gastgebern mit 0:2.

Der Gegner des letzten Gruppenspiels am Sonntagmorgen hieß Pirsos Thessaloniki, fast identisch mit der griechischen Nationalmannschaft. Wir machten ein richtig starkes Spiel, mussten uns aber nach einem Sonntagsschuss der Griechen mit einer 0:1 Niederlage abfinden. Thessaloniki besiegte später den Deutschen Meister MTV Stuttgart im Halbfinale nach Penaltyschießen. Für uns ging es abschließend gegen Lass Budapest um Platz 7. Ein 2:0-Sieg durch einen Doppelschlag von Serdal verschaffte uns einen erfolgreichen Abschluss des sportlichen Teils. Unsere Jugendlichen mussten wegen schulischer Verpflichtungen leider schon zuvor abreisen.

Die überragenden Turniersieger kamen vom ICB Bahia. Sie besiegten Thessaloniki im Finale mit 4:0. Dritter wurde Stuttgart, vierter Worchester. Platz 5 ging nach Chemnitz und sechster wurde Brno. Avoy Brno hatte ein absolut grandioses Turnier organisiert.

Drei unvergessliche Tage endeten am Sonntagabend an der Hotelbar, wo Ungarn, Brasilianer und St. Paulianer sich gemeinsam als „Campeones“ feierten und zusammen mit Tschechen, Griechen und Engländern die Hotellobby in eine große internationale Tanzparty verwandelten.

Nach diesem turbulenten Mai geht der Bundesligaalltag wieder weiter, wo es zunächst nach Dortmund und im Juli nach Marburg geht. Außerdem stehen die Vorbereitungen unseres eigenen Hallenmasters im Oktober an.

Sven Gronau

Fotos: Die ersten beiden Stefan Groenveld, 3 nicht bekannt, 4 AVOY Brno