Hier findet Ihr zunächst Informationen in einem Video und weiter unten mehr Wissenswertes in einem Interview mit Wolf Schmidt plus weiterführende Links
BLINDENFUSSBALL BEIM FC ST. PAULI: DER BALL IST RUND UND RASSELT
Wolf Schmidt kommentiert live beim Public Viewing des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg.
Blinde und sehbehinderte Menschen können kein Fußball gucken? Von wegen. Live-Kommentare zu den Spielen machen es möglich. Aber was viele nicht wissen: Blinde und sehbehinderte Menschen spielen auch selbst Fußball. Und zwar richtig gut. Wir haben mit Wolf Schmidt, Blindenfußballtrainer und Live-Kommentator des FC ST. Pauli von 1910 e.V. gesprochen
Herr Schmidt, wie funktioniert Blindenfußball eigentlich?
Wolf Schmidt:
Als Fußball-Laie ist das sicher sehr schwer vorstellbar. Basis des Spiels ist Futsal. Diese kleinere Spielart des Fußball wird mit vier Feldspielern plus Torhüter auf einem Handballfeld großen Platz gespielt. Der Blindenfußball rasselt wenn er rollt, und kann dadurch “gehört” werden. Die Seitenlinien sind Banden, von denen der Ball abprallen kann und die als Orientierung dienen.
Die Feldspieler werden mit Augenpflastern und Dunkelbrillen vollständig abgedunkelt, damit nicht der Spieler mit etwas mehr Sehrest einen Vorteil gegenüber dem so genannten “Voll-Blinden” hat. Außerhalb des Spielfeldes steht an der Mitte der Mittelguide und hinter dem gegnerischen Tor der Hintertorguide. Die Guides geben den Spielern akustische Orientierung und Hilfestellung durch Spielbeschreibung.
Seit wann gibt es die Blindenfußballmannschaft des FC St. Pauli – seit wann sind Sie dabei?
Wolf Schmidt:
Seit 2006 dem Geburtsjahr des Blindenfußball in Deutschland, wird beim FC St. Pauli trainiert und gespielt. Ich bin seit 2009 im Team aktiv, weil für ein Turnier in Köln ein Torhüter gefehlt hat. Die Blindenfußballer des FC St. Pauli sind das erste Team in Deutschland das sich vereinsmäßig organisiert hat.
Ergänzung d. Red.: Die Blindenfußballmannschaft des FC St. Pauli wurde von Katja und Michael Löffler gegründet. Der FC St. Pauli hat mit Katja Löffler übrigens als einziges Team einen weiblichen Kapitän. Mittlerweile spielt das Team sehr erfolgreich und nimmt an der Blindenfußball-Bundesliga (DBFL) teil. Ein Spieler des FC St. Pauli – Serdal Celebi – wurde kürzlich zur Nationalmannschaft eingeladen.
Wie wird man Trainer für sehbehinderte Fußballer/Innen, wie sind Sie dazu gekommen?
Wolf Schmidt:
Wie man Blindenfußball-Trainer wird, kann man nicht verallgemeinern. Bei mir waren zwei bis drei Faktoren entscheidend. Ich habe beim SC Sternschanze die DFB Jugendtrainer Ausbildungen machen können und mache beim FC St. Pauli seit 2004 die spielbeschreibenden Livereportagen für blinde und sehgeschädigte Stadionbesucher. Durch den Kontakt zu den blinden und sehbehinderten Fans habe ich die Blindenfußballer kennen gelernt.
Was ist das Tolle und Besondere an Blindenfußball?
Wolf Schmidt:
Blindenfußball zu trainieren und zu spielen ist nur gemeinsam möglich. Blinde und nicht blinde Menschen müssen zusammen in der gemeinsamen Sportart agieren. Das Miteinander ist entscheidend, und die Perspektiven sind teilweise sehr unterschiedlich. Mir macht Spaß in einem tollen Team Trainingsmethoden zu erarbeiten, die dann in der Praxis erprobt und verfeinert werden.
Von den Spielern weiß ich, dass Sie durch das aktiv werden im Blindenfußball den Sport noch mehr lieben. Blindenfußball bietet die einzige Möglichkeit, sich als Blinder frei und selbstbestimmt ohne Langstock oder Fürhund zu bewegen, zu laufen, zu rennen. Das ist die motorische Basis, dazu kommen noch die Spaßfaktoren einer Teamsportart und die Freude die ein Ball ins Spiel bringen kann.
Kommunikation ist beim Blindenfußball noch viel viel wichtiger als beim “sehenden” Fußball.
Was brauchen Sie und die Mannschaft, um den Blindenfußball in Hamburg noch weiter voran zu bringen?
Wolf Schmidt:
Mehr Mitspieler! Um Blindenfußball auf gutem Niveau trainieren zu können, braucht es sehr viele sehende Trainer und Guides. Wenn zwei Feldspieler im so genannten “eins gegen eins auf kleinstem Raum” z.B. Ballbehauptung trainieren wollen, dann brauchen wir z.B. vier Rufer, die die Eckpunkte, also das kleine Feld, akustisch markieren. Im “sehenden” Fußball können Hütchen aufgestellt werden, das geht im Blindenfußball nicht. Bei einem regulären Blindenfußballspiel agieren vier plus vier verdunkelte Feldspieler in Teams gegeneinander. Dazu kommen zwei Torhüter, zwei Mittelguides, zwei Hintertorguides und zwei Schiedsrichter.
Acht blinde Feldspieler und acht sehende inklusive Schiedsrichter sind bei einem Spiel aktiv. Das ist eine ausgeglichene 50/50 Verteilung von sehenden und nicht sehenden Aktiven, die für ein Blindenfußballspiel nötig ist. Das gilt auch etwas abgeschwächt für das Training.
Wer kann mitspielen?
Wolf Schmidt:
Jeder der will und kann. Wir freuen uns immer über Neugierige mit Teamsport-Erfahrung, die Lust haben den Blindenfußball als Trainer, Guides oder Betreuer zu unterstützen. Blinde und sehgeschädigte Spieler, die Blindenfußball ausprobieren möchten, sind selbstverständlich jederzeit willkommen.
Es gibt einige Bereiche in denen der Blindenfußball noch gar kein Fundament hat, aber in Hamburg sind die Bedingungen schon recht gut. Wir machen beim FC St. Pauli auch sehr gute Jugendarbeit im Blindenfußball.
BliFu Newcomer 2013: Friedhelm Julius Beucher (DBS Präsident), Jonathan Tönsing (FC St. Pauli Spieler), Herbert Rösch (Präsident Württembergischer Fußballverband), Dr. Wolfgang Niersbach (DFB Präsident), Rasmus Narjes (FC ST. Pauli Spieler). Foto:Carsten Kobow.
Wie erleben Sie und die Spieler die WM 2014?
Wolf Schmidt:
Wir schauen die Spiele teilweise gemeinsam an. Das erste Spiel der DFB Elf gegen Portugal durfte ich mit meinem Hörplatz-Reporter Kollegen Jan Möller im Blindenverein Hamburg, bei einem organisierten Public-Viewing, live beschreiben. Das war ein sehr schönes Erlebnis [Anmerkg. d. Red.: Die taz berichtete darüber].
Das Angebot der ARD/ZDF [Anmerkg.d. Red.:Kobinet berichtete darüber] für blinde TV Nutzer, ist leider ein Mogelpackung. Die Radioreporter bilden das Spiel sprachlich nur sehr selten ab. Stattdessen wird über Randthemen – z.B. Klatsch und Tratsch über die Familien der Fußballspieler, fabuliert. In England wird Fußball im Radio qualitativ viel besser übertragen.
Einen Satz noch zum Abschluß des Interviews:
Wolf Schmidt:
“Keep your mind wide OPEN”, support Blindfootball !
Vielen Dank Herr Schmidt für das informative und spannende Interview!
In einer Broschüre der Blindenfußball-Bundesliga heißt es: „Blinde und sehbehinderte Menschen stehen mitten im Leben. Sie arbeiten, studieren – und sie spielen Fußball!“
Na, klar! Warum auch nicht?
Das Interview führte Katja Wiggers vom culture-inclusive-blog.
Auf der Blogseite FC Athens southendscum ist ein Beitrag über unsere Blindenfußballabteilung auf englisch zu finden: https://fcspsouthendscum.wordpress.com/2015/06/23/fcsp-amateur-departments-blind-football/
Aktuelles auf der Facebook-Seite: https://www.facebook.com/BlindenfussballHamburg
Oder auf der Website des DBSV unter: http://www.dbsv.org/infothek/sport/fussball/
Eine Vorstellung der Sportart in englischer Sprache: